Mittwoch, November 01, 2006

Seitensprung als Volkssport

Franz Beckenbauer ist nicht allein. Die meisten von uns nehmen es mit der Treue nicht so genau. FREMDGEHEN ist für viele ein Kavaliersdelikt. Kaum einer rechnet mit einem Skandal und der privaten Katastrophe — man lässt sich einfach nicht erwischen...Es ist Punkt 12.15 Uhr, Mittagspause bis 14.30 Uhr, und Axel, der seinen Wagen in der Tiefgarage geparkt hat und jetzt mit schnellen Schritten die Hotelhalle durchquert, wird von der freundlichen Empfangsdame bereits erwartet. „Schön, Sie wieder begrüßen zu dürfen“, lächelt sie. „Ihre Gattin ist bereits auf dem Zimmer. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt.“ – „Danke“, sagt Axel, „den werd’ ich sicher haben.“ Die Gattin hat inzwischen geduscht und den Champagner kaltgestellt. Als er klopft, öffnet sie die Tür, wie er es erwartet – nackt, lächelnd, bereit. Es geht sofort zur Sache. Um 14.10 Uhr rollt er sich von ihrem lustvoll verschwitzten Körper, küsst seine Lieblingsstelle, das kleine Grübchen, da, wo ihr Rücken in den Po übergeht. Ciao, mein Schatz, bis nächste Woche. Als sie unter der Dusche steht, fährt Axel, im wahren Leben Texter in einer Werbeagentur, bereits seinen Wagen aus der Tiefgarage. Eine Viertelstunde später sitzt er mit Kollegen in einer Konferenz – als ob nichts geschehen wäre.
Für Seitensprünge gilt: Fast jeder will sie, aber keiner gönnt sie seinem Partner“, erzählt die 29-jährige Manuela, eine zufriedene Ehefrau mit viel aushäusiger Spielzeit. Die verbringt sie mit dem freien Journalisten Tom, oft unterwegs und horizontal genauso wenig ausgelastet wie sie. Auch sie ist Expertin in punkto Tageszimmer. Zuckt nicht mehr zusammen, wenn sie „Gepäck dabei, gnädige Frau?“ gefragt wird. „Diesmal nicht“, erwidert sie fröhlich. Es ist ihr völlig egal, ob ihr die Etagenkellner die ehebrecherische Absicht von der glatten Stirn ablesen. Hotelzimmertür zu, Fernseher auf Musik, Flasche Champagner geköpft, die kleinen Proseccofläschchen in der Minibar sind zu teuer, und ab geht die Post. „Es klingt total abgebrüht“, sagt Manuela, „aber ich habe überhaupt kein schlechtes Gewissen dabei. Wir haben alle etwas davon. Tom und ich sowieso, aber auch mein Mann und Toms Freundin, weil sie von unserer sexuellen Ausgeglichenheit profitieren. Auch und gerade im Bett. Unsere Beziehungen haben wieder Glanz, seitdem wir miteinander fremdgehen.“

Wissenschaftler schätzen, dass rund 10 bis 15 Prozent, fast jedes sechste Kind, das Ergebnis eines heimlich genossenen „Häppchens“ ist, also nicht von seinem genetischen Vater aufgezogen wird. Davon geht die Welt nicht unter. Frauen – „Schwachheit, dein Nam’ ist Weib“ (Shakespeare) – sind also genauso liederlich lustvoll wie Männer. Den Begriff Kuschelsex hat sich mit Sicherheit ein Mann ausgedacht. Kathrin ist 51 Wochen im Jahr solide Partnerin eines Rechtsanwalts. Einmal im Jahr verreist sie allein, bevorzugt in Metropolen im südlichen Europa, und gönnt sich in der 52. Woche einen Seitensprung. „In fremden Städten vögelt es sich gut“, erklärt sie, „jedenfalls besser als im 'Club Méditerranée', wo man den ganzen Tag im Liegestuhl und am Büfett verbringt.“ Sie guckt sich ihren potenziellen Freudenspender in Straßencafés oder in Museen aus und spricht ihn an: „Ich bin eine Woche hier. Allein. Hast du Interesse?“ Die meisten haben. Fast jeder, der in einer langen Beziehung steckt, hat Lust auf Abwechslung. Die Gründe: horizontale Monotonie, Alltagssorgen, Kinderstress. „Das kann doch nicht alles gewesen sein / das bisschen Windeln und Kinderschrei’n“, reimte Liedermacher Wolf Biermann vor 30 Jahren. „Ich will noch ’n bisschen was Blaues sehn / und ich will noch paar eckige Runden drehn.“ Kommt Ihnen bekannt vor?

Ich sehe sofort, wenn eine Frau bereit ist“, behauptet Axel, „sie hat dann diesen Blick in den Augen, dieses Funkeln. Ich spreche sie an, manchmal ganz direkt. Ich sage: Ich habe unheimliche Lust, mit dir zu schlafen. Ich gebe ihr meine Handynummer und gehe. Dann liegt es an ihr.“ Seitensprünge sind wie Fingerabdrücke. Jeder hat einen anderen. Der eine springt oft, der andere selten, der eine entsorgt das Alte, bevor er das Neue beginnt, der andere springt wild durcheinander. Der eine quält sich mit Schuldgefühlen und tut es trotzdem, der andere würde gern, aber verkneift es sich. Oder er würde gern, aber keiner fragt ihn. Wer es nicht tut, träumt davon. Wer nicht davon träumt, ist Bigamist. Seitenspringen kann jeder. Klaus, 34, ist keiner, dessen Optik als sexuelle Visitenkarte funktioniert. Er ist klein, mit leichtem Bauchansatz, sein Haaransatz flieht. Trotzdem hat er Frauen ohne Ende, und die verdankt er einer schlichten, leider universell zutreffenden Tatsache: Die meisten Frauen haben selten einen richtig schönen Orgasmus. Da viele dieser Frauen Partner haben, folgt daraus, dass die meisten Männer nicht im Stande sind, ihren Partnerinnen einen schönen Orgasmus zu verschaffen. Umso beglückter sind sie deshalb, dass es Klaus gibt. Wo andere Männer ungeschickt herumschrammeln, greift er virtuos in die Tasten. Da er dies auch regelmäßig bei seiner Freundin tut, hat sie keinen Grund, an seiner Treue zu zweifeln.

Klaus ist ein glücklicher Mann, weil er die Grundregeln des Seitenspringens perfekt beherrscht. Am meisten Spaß macht Fremdgehen, so seine langjährige Erfahrung, wenn beide solide verbandelt sind, denn dann entstehen keine einseitigen Besitzansprüche. „Wenn du merkst, dass es eng wird, dass sie oder er mehr will, dann heißt es: sofort Schluss machen. Sonst brodelt ein Häschen auf deinem Küchenherd wie bei ,Verhängnisvolle Affäre‘.“ Ein Hollywoodfilm übrigens, der mehr für die vorübergehende männliche Treue getan haben soll als die Erfindung des scharfen Küchenmessers. Es ist so einfach. Man sieht, man gefällt, man verabredet sich. Was heutzutage ja cool und easy ist. Keine postlagernden Briefe wie zu Omas, kein Zweimal-kurz-einmal-lang am häuslichen Festnetzanschluss wie zu Muttis Zeiten. SMS an den Lover getippt, kurz die Mailbox gecheckt, dabei dem Gatten zugelächelt – tut mir Leid, Schatz, ich bin sofort für dich da –, und mit der Vorfreude auf ein kleines, sündiges Dessert schmeckt der häusliche Eintopf gleich noch mal so gut.

Denn nach dem heimlichen Treffen, am besten in der Mittagspause, da erstens unverfänglich und zweitens zeitlich begrenzt, gehen beide gut durchblutet wieder nach Hause, bestens gelaunt und mit der leichten Prise Schuldgefühl, die einen Ehealltag durchaus beleben kann.

Tatsache ist: Wer länger liiert ist – Ausnahmen bestätigen die Regel –, hat Lust auf Abwechslung. Wir essen ja auch nicht jeden Tag Bratkartoffeln mit Sülze. Wir reisen nicht jedes Jahr nach Westerland. Wir variieren. Wir sind flexibel, neugierig, wissensbedürftig. Wir testen unsere Grenzen. Wir haben keine Vorurteile. In jedem anderen Bereich gilt dies als positiv. Nur im Sexuellen nicht. Da wird Einseitigkeit erwartet, Treue bis zum Tod. Da stehen wir verklemmt im Hotel und verlangen ein Tageszimmer und beten, dass wir keine Bekannten treffen, wenn wir uns mit dem Subjekt unserer geheimen Lust ein paar nette Stunden machen wollen. Da denken wir uns die abenteuerlichsten Ausreden von längst verschollenen Cousinen aus, die wir ganz dringend mal wieder besuchen müssen. Da erfinden wir imaginäre Tagungen, möglichst fern der Heimat, und müssen uns dann auf der Heimreise mühsam anlesen, worüber wir am häuslichen Herd erzählen wollen. Wie bei Markus, ebenfalls versiert im heimlichen Spagat zwischen Hauptfrau und wechselnden Nebenfrauen, der kürzlich an einem aufgeknüpften Bettlaken aus dem im dritten Stock gelegenen Balkon seines Lunch-„Häppchens“ hing. Grund? Ein überraschend aufgetauchter Ehemann. „Ich baumelte vor der Nachbarin herum, nur in Boxershorts“, erzählt er und kann heute darüber lachen. „Meine Süße trat kurz auf den Balkon und warf meinen Autoschlüssel auf den Rasen. Halbnackt fuhr ich zu einem Kaufhaus und kleidete mich neu ein. Meiner Freundin erzählte ich, mir seien die Klamotten im Fitnessclub geklaut worden.“

Warum können wir also dieses Thema nicht einfach einen Tick tiefer hängen? Warum erlauben wir unserem Partner vierhändige Massagen von Ayurveda, aber keine zweihändigen von Annika? Warum muss jeder aushäusige Beischlaf – allein das Wort wiegt schon schwer wie Blei – vor ein moralisches Kriegsgericht? Warum quälen wir uns mit Eifersucht, wo uns ein bisschen Gelassenheit das Leben so erleichtern würde? Warum sind wir nicht ein bisschen französischer und genießen unsere Cinq à Septs, wie jenseits des Rheins die nachmittäglichen Schäferstündchen heißen? Ein bisschen italienischer, ein bisschen afrikanischer? Nicht nur „der Schwarze schnackelt gern“. Axel ist nach vielen Hotelbesuchen vorübergehend zwangsmonogam. Seine Freundin hatte die Adresse seines jüngsten Seitensprungs in Axels Notizbuch entdeckt. Es gab Tränen, Streit und schließlich ein Telefonat zu dritt, in dem Axel bei laut gestelltem Telefon seiner Liaison den Laufpass geben musste. Die Beziehung der beiden hat es überlebt. „Und zumindest unser Sex“, sagt Axel, „ist seit diesem reinigenden Gewitter wieder so spannend wie kurz nach unserem Kennen lernen.“

Vor ein paar Monaten hat Claudia ihren Freund Christian mit einem anderen Mann betrogen. Danach stand für Sie fest: Es war das erste und einzige Mal.

Sie jobbte gerade als Hostess auf einer Messe. Hannes arbeitete für eine der Firmen, die dort ausstellten. Er fiel ihr sofort auf: ein paar Jahre älter als sie, tolles Lächeln und ein super Körper. Besonders sein Hintern. Abends gab es eine Unternehmensfeier, sie saßen sich am Tisch gegenüber und quatschten ununterbrochen. Dabei merkte sie, dass er sie auch attraktiv fand. Später, als sie mit ein paar Leuten in die Disco gingen, fingen sie schon auf der Tanzfläche an rumzuknutschen. Claudia war egal, dass seine Kollegen zusahen - sie kannten sie ja nicht. Deshalb hatte sie keine Angst, es könnte rauskommen. Sie schlug schließlich vor, ins Hotel zu fahren. Für Claudia war die ganze Geschichte ein großes Abenteuer, sie wollte endlich mal wieder mit einem anderen Mann schlafen. Zu dem Zeitpunkt war sie schon zwei Jahre mit Christian zusammen. In ihrer Beziehung hatte sich Routine eingestellt, sie unternahmen kaum noch etwas, sondern saßen meist nur vor dem Fernseher wie ein altes Ehepaar. In dieser Nacht dachte Claudia nicht an Christian, sondern wollte ihren Spaß haben. Dafür bekam sie am nächsten Morgen ein richtig schlechtes Gewissen. Nach dem Aufwachen haute sie schnell ab. Den ganzen Tag über weigerte Claudia sich, ihren Freund zu sehen, konnte auch nicht mit ihm telefonieren. Sie hätte sofort angefangen zu weinen. Bis heute ahnt er nichts von dem Betrug: “Ich bin zu feige, es ihm zu beichten, und möchte den Ärger vermeiden. Das Vertrauen wäre zerstört, das ist es nicht wert. Ich habe Hannes ja praktisch schon vergessen.“, sagt sie. Ein Gutes hatte die Sache: Die Beziehung zu Christian bedeutet Claudia jetzt viel mehr. Sie weiß, was sie an ihm hat. „Wir sind aus unserem alten Trott raus. Andere Männer reizen mich nicht - damit bin ich durch.“

Thorsten fragt sich: „Ist nicht die Natur dran schuld, dass wir Jungs doch recht hormongesteuert sind? Gibt der Alkohol teilweise nicht sogar noch den letzten Anstoß, dass man dann doch nicht nein sagt?“ So lange man es nicht übertreibt, findet er, sollte man sich vielleicht für eine offene Beziehung entscheiden! Auch wenn es schwer fällt - solange der Partner einem es dann nicht erzählt, findet er es besser, wenn jeder seinen Spaß hat, solange man verhütet und sonst auf sich aufpasst (Safer Sex)! „Lebt euch aus, tobt euch aus, wenn ihr irgendwann dann merkt, das war es, dann ist es doch gut zu wissen, dass man gelebt hat und eine Menge Spaß hatte!“ Bei den ersten Malen hatte er auch ein schlechtes Gewissen, und er meint, das sei meistens so, also vollkommen in Ordnung und normal! Solange er es nicht weiß, macht es ihn nicht heiß, und sollte ihm jemand erzählen, dass er nicht der einzige in der Beziehung ist, der fremdgeht, dann hört er es mir an und vergisst es wieder, denn es kann ja auch nur ein Gerücht sein! Thorstens Motto: „Wir sollten alle wieder offener werden, die 68er haben es uns vorgemacht, also, raus mit euch und lebt euer Leben, bevor ihr im Alter denkt, ihr habt was verpasst! Und meistens bekommt ihr von einem Typen nur einmal die Chance, und wenn er euer Typ ist, dann ran!“

Charlene ist seit anderthalb Jahren mit ihrem Freund zusammen! Es läuft alles gut und sie sind beide glücklich! Ihr Freund ist am Anfang der Beziehung mit seiner Ex fremdgegangen. Früher hat Aurelia immer gesagt: „Mir passiert so etwas nicht, und wenn doch, dann ist Schluss!“ Doch ganz so einfach ist es ja doch nicht. Sie waren zwar eine Zeitlang getrennt, weil Charlene einfach die Zeit für sich brauchte, aber sie sagt: „Wenn man einen Menschen von ganzem Herzen liebt, dann ist man bereit, Fehler zu verzeihen! Ich habe es getan, und heute kann ich sagen, dass es die beste Entscheidung meines Lebens war! Wir sind durch seinen Seitensprung mehr zusammen gewachsen und leben nicht mehr nur nebeneinander, sondern miteinander! Damit so etwas nie wieder passieren kann!“

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